Immer wieder werde ich gefragt, ob der Hund wirklich kein Zeitgefühl hat. Um dieses zu verstehen möchte ich jetzt Zeitgefühl/Zeitbedeutung genauer erklären.
Bevor wir auf den Hund kommen, betrachten wir doch erst mal das Lebewesen, das wir viel besser kennen, uns selbst, den Menschen. Hat der Mensch ein Zeitgefühl? Was ist für den Menschen denn überhaupt Zeit? Woher kommt die Zeit? – Sie merken, die Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten.
Fangen wir an, was Zeit für den Menschen überhaupt ist oder was sie bedeutet. Irgendwann in der Entwicklung des Menschen haben diese entdeckt, dass es die Zeit gibt und haben angefangen diese zu verstehen und für sich zu nutzen. Die ersten Sonnenuhren wurden ca. 4000 v. Chr. hergestellt, deren Zeitmessung war sehr grob und ungenau. Genauere Zeitmessungen waren für den Tagesablauf noch nicht wirklich wichtig.
Von den Indianern wissen wir, dass sie die Zeit noch in Monden und Sonnen gemessen haben, für ihr Leben reichte eine so grobe Zeiteinteilung völlig aus.
Erst mit der Seeschifffahrt wurde die Bedeutung von Stunden und Minuten wirklich erkannt, denn nur so ließ sich ein genaue Position auf den Meeren bestimmen. Der Schiffschronometer war erfunden und ermöglichte das erste Mal eine ziemlich genaue Positionsbestimmung.
Heute in unserer modernen Zeit kommt es auf die tausendstel Sekunde an, die benötigen wir für unsere Navigationssysteme in unseren Fahrzeugen, Handy, Uhren usw.
Was kann man aus diesem Werdegang der Zeit schon mal schließen? Mit steigendem Wissen und Technologie wurde die Messung der Zeit für uns immer wichtiger. Heute ist die Zeit eine feste, bestimmende Größe in unserem Leben, eine Größe, mit der wir sogar die Zuverlässigkeit unsere Mitmenschen messen. Andersherum kann man feststellen, dass für unsere frühen Vorfahren Zeit keinerlei oder eine minimale Bedeutung hatte. Einen großen Einfluss auf das Leben der frühen Menschen hatte eigentlich nur Tag und Nacht und die Jahreszeiten.
Jetzt stellt sich die Frage, welche Bedeutung hat Zeit für unseren Hund? Wohl keine, weil sie für sein Leben keine wirklich wichtige Größe ist, er navigiert nicht über die Weltmeere, hat keine Termine und verabredet sich nicht mit anderen Hunden. Tageslicht ist aber für die Hundeartigen (Caniden) wichtig. Er lernt, dass die Dämmerungszeit für die Jagd die beste Zeit ist, weil sich dann auch das Wild bewegt. Also ist es für einen Hund wichtig Abend und Morgen zu erkennen, da hilft ihm die Natur mit abnehmenden oder aufkommendem Licht.
Kommen wir zum Zeitgefühl, gibt es ein wirkliches Zeitgefühl, können wir Menschen zu jeder Situation relativ sicher sagen, wie viel Zeit vergangen ist? Nein das können wir nicht, unser Zeitgefühl ist abhängig von äußeren Faktoren. Jeder kennt es, wie lange 15 Minuten im Wartezimmer des Arztes sein können und wie schnell 15 Minuten vergehen können, wenn wir das tun, was uns wirklich Spaß macht. 15 Minuten können sich jedesmal völlig anders anfühlen, je nach dem was wir tun.
Hier liegt also das Geheimnis des Zeitgefühls, in unseren Tätigkeiten. Zu jeglicher Art von Tätigkeit gehören Denkprozesse. Je mehr Denkprozesse unser Gehirn tätigen muss desto länger fühlt sich die Zeit an. Mal ein Beispiel:
Wir fahren eine Strecke mit dem Auto das erste Mal, vielleicht 200 km, wir konzentrieren uns auf den Weg und achten auf Kreuzungen und Abfahrten, auf dem Rückweg kennen wir einen Großteil der Strecke schon, wir brauchen nicht mehr soviel drüber nachzudenken wie wir fahren, die Fahrzeit war die Gleiche, das Gefühl vermittelte uns eine schnellere/kürzere Heimfahrt.
Ein ähnliches Phänomen kennt man auch aus Berichten von Verschütteten, selbst nach Tagen oder Wochen haben sie das Gefühl, dass nur Stunden vergehen. Denn je länger man verschüttet ist, desto weniger denkt man nach, irgendwann hat man alle Möglichkeiten sich zu befreien durchgedacht, die Umgebung kennt man auswendig und so bleiben die Denkprozesse aus und das Zeitgefühl trügt uns.
Viele Studien haben auch nachgewiesen, dass es im Körper von Menschen und auch z.B. Rhesusaffen kein Organ und keine Stelle im Gehirn gibt, was die Zeit misst oder messen könnte. Unser Zeitgefühl hangelt sich an unseren Tätigkeiten, die wir durchführen, aus Erfahrung wissen wir wie lange wir für was brauchen, im Unterbewusstsein können wir dann die vergangene Zeit bestimmen. Je älter man wird, je mehr Erfahrung man hat desto genauer funktioniert dieses Prinzip.
Aber das allein macht nicht das Zeitgefühl aus. Es kann passieren, dass wenn wir sehr vertieft in eine Tätigkeit sind und den sogenannten Flowzustand (siehe Flowzustand) erreichen, wir uns völlig in der Zeit verlieren. Zwar gibt es in diesem Zustand viele Denkprozesse, aber wir fühlen keinerlei Zeit.
Immer mehr stellen wir fest, dass es so gut wie unmöglich ist, ohne Messgerät (Uhr) Zeit wirklich zu bestimmen.
Auch der Hund hat hier die gleichen Probleme, auch er kann nicht wirklich Zeit feststellen, wobei er noch nicht mal unsere Einteilung der Zeit kennt. Er weiß nicht was eine Stunde oder Minute ist.
Kommen wir zur inneren Uhr, ja diese gibt es, ist aber was ganz anderes. Aufgrund biologischer Vorgänge im Körper können wir Tageszeiten schon ziemlich genau definieren ohne dabei auf eine Uhr zu schauen. Das liegt aber wiederum an ganz anderen Dingen. Wenn wir Morgens gut gefrühstückt haben, dann ist dieses am Abend verdaut und möchte nun mal aus unserem Körper. Wenn wir dieses täglich machen werden, wir auch immer zur gleichen Zeit das Bedürfnis der Toilette haben, hier greift die innere Uhr.
Auch unser Hormonhaushalt liefert uns täglich die Möglichkeit gewisse Tageszeiten festzustellen, Melatonin und Serotonin sind verantwortlich für unser Schlaf- und Wacheit, zu deren Ausschüttung kommt es immer zu bestimmten Tageszeiten. Wobei Licht eine gewisse Rolle spielt und biologische Vorgänge dadurch in Gang gesetzt werden. In Verbindung mit weiteren Hormonen hat der Mensch seinen sogenannten Biorhythmus, dieser ist verantwortlich für unsere Leistungsfähigkeit zu bestimmten Tageszeiten und auch hier haben wir wieder eine Möglichkeit gewisse Zeiten festzustellen.
An manche täglichen, wiederkehrenden Dinge haben wir uns gewöhnt und können uns daran auch unterbewusst durch die Zeit hangeln. Dieses kann auch der Hund, z.B. kann er mit seinem Gehör Dinge wahrnehmen, die wir selber nicht mehr hören.
Es kann die entfernte Kirchturmuhr sein, der pünktliche Nachbar, der Postbote usw. Dinge, die immer zur gleichen Zeit ablaufen, werden miteinander verbunden, verknüpft.
Daraus kann der Hund und auch der Mensch gewisse Tageszeiten erkennen, ändern sich diese Dinge, funktioniert das nicht mehr.
Man kann also mit Sicherheit sagen, dass der Hund und auch der Mensch kein wirkliches Zeitgefühl haben und ohne Hilfsmittel nicht in der Lage sind die Zeit zu bestimmen.
Jochen Scholz